top of page

Expresswoche.

  • Writer: steffigeisler
    steffigeisler
  • Aug 26, 2015
  • 7 min read

Wie versprochen kommt nun noch ein Nachtrag über meine letzten Tage in Neuseeland.

Zwar bin ich jetzt tatsächlich schon wieder länger als eine Woche in Deutschland, aber ich empfand es als sehr wichtig, doch noch zu beschreiben, wie sich das Ende meines Jahres gestaltet hat und ich habe noch einige Dinge im Kopf, die ich sehr gern noch mit euch teilen würde.

Dieser Blogeintrag trägt den Titel "Expresswoche".

Ich habe recht lang überlegt, wie ich die letzten Tage, die letzte Woche meines Neuseelandaufenthalts in einem Wort oder einem kurzen Satz zusammenfassen könnte. Ich habe mich gefragt, was genau diese Woche ausgemacht hat - und dabei kam mir vor allem eines in den Sinn: Schnelllebigkeit.

Nach einem halben Jahr Neuseeland dachte ich damals bereits, dass es ja schon fast wieder zurück nach Deutschland geht, und auch wenn sich das vielleicht im ersten Moment ziemlich verrückt und übertrieben anhört, so kann ich doch bestätigen, dass ich mit meiner Aussage zu diesem Zeitpunkt nicht ganz falsch lag.

Die Monate verflogen nur so, aber das war letztendlich nichts gegen das Vorüberziehen der letzten Woche.

Natürlich vergeht die Zeit immer schneller, wenn man viel zu tun hat und man nicht auf die Uhr schaut, bis man plötzlich merkt, dass das Tageslicht langsam aber sicher hinter den Bäumen verschwindet und der abendlichen Dämmerung Einzug erhält - aber in der letzten Woche erschien es mir so, als hätte man beim Abspielen meiens Lebens die Geschwindigkeit auf ein Zehnfaches erhöht.

(Lea und ich beim Abschlussabend zusammen mit den anderen Freiwilligen, ihren Housemanagern und dem Chef der Children's Community)

(Wir in der Birdwoodsgallery)

(Ich war sehr dankbar, CLAUDIA (rechts oben) an Karneval noch einmal wiederzusehen, sie hatte damals auch in McGowan gearbeitet und hatte gekündigt, als ich auf der Südinsel war)

Jeden Tag war etwas anderes los - die Arbeit stand zwar noch immer im Vordergrund und mein letzter Arbeitstag fiel auf den 23. August, obwohl ich mir den 20. gewünscht hätte (mein Rückflug war für den 25. gebucht), um mich einfach mental auf die Abreise einzustellen, aber es standen nun auch einige Dinge an.

Man ging noch einmal gemeinsam einen Kaffee trinken; wir fuhren zur Birdwoodsgallery und aßen dort für SEHR viel Geld eine SEHR kleine Portion und dachten "Na gut, jetzt können wir uns ja noch einmal gönnen"; wir fuhren ins Kino und konnten uns trotz der einziartigen Soundanlage (durch diese vibrierten die Sitze mehr oder weniger, wenn etwas Wuchtiges im Film auf den Boden knallte etc. xD) nicht wirklich für den Film begeistern, genossen es aber einfach, noch einmal alle zusammen etwas zu unternehmen; wir feierten Leas Geburtstag; ich wurde bei Sukhi und Davinder (zwei Arbeitskolleginnen, aber auch gute Freundinnen) zu Hause zum Essen eingeladen und habe dort tradionell indisch gegessen (was übrigens mit ein wenig Technik verbunden ist!), an meinem letzten Mittwochabend wurden die Freiwilligen auf drei Drinks in einem edlen Schuppen eingeladen, um das Jahr ein wenig zu reflektieren, beim letzten Meeting wurde mir eine Greenstone-Kette als Andenken und Dankeschön von meinem Housemanager überreicht (und jeder Mitarbeiter hatte sich wohl mit ein paar $ daran beteiligt), ich habe noch ein Hohepa-Festival miterlebt - Karneval - was mir abgesehen vom Candlelit-Festival wirklich am besten gefallen hat, Samstag musste ich dann tatsächlich aufgrund von Ungnade meines Housemanagers noch ein paar Stunden nachholen und morgens von 7-10 und abends von 17-21 Uhr arbeiten (Ja, ich durfte an meinem letzten Samstag dieses Auslandsjahres bis abends um neun Uhr arbeiten^^), habe es mir dann aber nicht nehmen lassen, den Abend noch voll auszukosten und dann mit den andere noch einmal den "Thursty Whale" zu rocken um dann an meinem letzten Arbeitstag vollkommen erschöpft zu sein (und auch wenn mir ein "ganz wundervoller Tag" versprochen wurde, war es doch bis zum Abend ein ganz normaler, zehnstündiger Arbeitstag; Montag habe ich dann tatsächlich auch mal packen können und abends haben wir es uns dann bei Ocean Spa noch einmal gut gehen lassen und erst Dienstag morgen (am Tag meiner Abreise) war es mir möglich, mein Bankkonto aufzulösen, die letzten ausgeliehenen Bücher zurück zur Bücherei zu bringen und den Videothek-Ausweis, mit dem ich nicht einen einzigen Film ausgeliehen hatte, zurückzugeben.

(KARNEVAL)

(Unsere Vorführung)

(Popcorn und Saft!)

(Meine beiden Inderinnen Davinder (links) und Sukhi (rechts) :) )

(Davinders Chapati)

(Zwei Frauen am Werk)

(Mein Versuch, ein Chapati herzustellen)

(Meine Grobmotorik machte mir beim ersten Versuch einen Strich durch die Rechnung...aber ich habe trotzdem nicht aufgegeben!)

Ich hatte an jedem Tag, der dem Ende meines Jahres ein Stück näher kam einen unglaublichen Druck, dass ich die verbleibende Zeit nicht richtig nutze, dass ich nicht genug schätze, was ich hier erlebe und dass die Woche einfach so vergeht, ohne dass ich realisiere, dass es sehr bald nach Hause geht.

Eigentlich ist aber genau das geschehen.

Vor allem auch dadurch, dass ich fast bis zum Schluss gearbeitet habe, hatte ich bis kurz vor meiner Abreise noch das Gefühl, meinen Alltag weiterzuleben, in einer Blase, und ich wusste, irgendwann wird der Moment kommen, in dem sich eine Nadel in sie hineinbohrt und ich plötzlich da stehe und nicht mehr verstehe, was vor sich geht.

Es war, als würde ich mit dem Blick in den Himmel gerichtet herumspazieren und einfach nicht sehen, dass mich nur noch wenige Schritte vor einem Fall ins Ungewisse und heraus aus meinem jetzigen Leben trennten.

Es gab zwei Momente, in denen ich wirklich einmal "nach unten" schaute und realisierte, dass das Jahr nun ein Ende nimmt.

Das erste Mal schaffte ich es (und ja, man kann hier wirklich von "schaffen" sprechen), ein wenig zu realisieren, dass es bald zurück nach Deutschland geht, nachdem unser letztes Teammeeting, in dem ich auch meinen Abschlussbericht über das Jahr an der Arbeit vorgelesen hatte und mir die Greenstonekette geschenkt wurde, beendet war.

Ich ging nach der Arbeit, die um 17:00 beendet war, nicht direkt nach Hause, sondern ließ mich auf einer Bank nieder, die einen sehr schönen Blick über das Farmgelände, aber auch ein wenig über Napier bis zum Meer freigab.

Als ich dort so saß und Musik hörte, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass jetzt wirklich ein ganzes Jahr bereits vergangen ist.

Ein ganzes Jahr.

Ein ganzes Jahr, in dem so viel geschehen war, in dem ich so viel erlebt hatte, in dem es so viele Höhen und Tiefen gab.

Ein ganzes Jahr, das mir, wenn ich wieder zu Hause war, vielleicht wie ein irrealer Zeitabschnitt, fast wie ein Traum, erscheinen könnte.

Ein ganzes Jahr.

Ich sollte dieses Leben loslassen, ich sollte die Kids loslassen, die ich im Nachhinein doch sehr vermissen würde, ich sollte mein Zimmer loslassen, das Haus, in dem ich gelebt habe, die Konstellation der Menschen, mit denen ich zusammen gelebt und gearbeitet hatte.

Ja, ich würde es in meinem Herzen nicht loslassen, aber ich wusste, dass ich schon in wenigen Tagen dieses Leben nicht mehr spüren und die neuseeländische Luft nicht mehr atmen würde.

Das lag schwer auf meinen Schultern.

Doch dieser Moment verging, die letzten Tage ließen dann wenig bis gar keine Zeit mehr zum Nachdenken übrig und dann kam der wuchtige Sonntag.

Den ganzen Tag über habe ich nichts davon gemerkt, dass dies mein letzter Arbeitstag war.

Das wurde mir erst bewusst, als ich abends im dunklen Wohnzimmer am Klavier saß und mir die Mitarbeiter circa alle dreißig Sekunden ein anderes Lied vorschlugen, das ich doch jetzt, an meinem letzten Tag, noch einmal spielen könnte.

Da habe ich dann das erste Mal gedacht "Ich befinde mich nun das letzte Mal in meinem Leben in diesem Wohnzimmer. Ich spiele nun das letzte Mal in meinem Leben hier in Anwesenheit dieser Menschen Klavier. Ich werde die Kids heute das letzte Mal ins Bett bringen."

All diese Gedanken schwirrten mir im Kopf herum, und schon beim Klavierspielen nicht anfangen zu weinen grenzte an einer Zerreißprobe.

Zum "Evening Circle" kam dann mein Housemanager mit seiner gesamten Familie, ich leitete den Circle und das Gefühl, jeden noch einmal am Abend zu begrüßen war wundervoll.

Die Atmosphäre und alles um mich herum war wundervoll. Ich vergaß all den Gram, der an so manch einem Tage in mir genagt hatte, wenn es mal nicht gut lief und war einfach dankbar, dass ich dieses Jahr erleben durfte.

Dass ich nach dem Circle plötzlich in Tränen ausbrach, hätte ich so nicht vermutet, aber da habe ich dann gemerkt, dass ich doch ziemlich an den Kids und den Mitarbeitern gehangen habe bzw. hänge.

(Evening Circle...)

Der bewegenste Abschied fand zwischen mir und meinem Lieblingsmitarbeiter in seinem Auto statt.

Mandela hat mir in diesem Jahr gezeigt, dass jeder Tag ein Lächeln wert ist, egal, wie negativ er auch begonnen hatte.

Auch wenn er auf den ersten Blick immer sehr distanziert erscheint, habe ich sehr schnell eine Verbindung zu ihm aufgebaut und in diesem ganzen Jahr über vermutlich am allermeisten mit ihm gelacht, Späße gemacht, ihm beim Singen zugehört (seine Stimme schallte ständig durch das ganze Haus - er konnte es sich aber erlauben!), die Songs am Klavier gespielt, die er gut fand (nicht nur, weil er sie gut fand, sondern weil sein Musikgeschmack meinem an einigen Stellen sehr sehr ähnlich war)...

Er hat sofort gemerkt, wenn etwas nicht in Ordnung war, wenn ich stiller war als sonst oder wenn mein Gesicht "sad" war. Er fragte oft, ob bei mir alles in Ordnung wäre und wenn ich komisch geschaut hatte, kamen Bemerkungen wie "The sad face doesn't suit you".

Er hat mich liebend gern an der Nase herumgeführt und mir das Blaue vom Himmel erzählt, weil er wusste, dass ich ihm glauben würde und dass wir uns nach Enthüllen der Wahrheit einfach über meine Naivität lustig machen konnten.

Er hat mich gleichzeitig ernst und nicht ernst genommen wenn ich sauer war und hat jegliche Ernsthaftigkeit letztendlich doch ins Lächerliche gezogen.

Er hat mir gut getan.

Als wir uns verabschiedeten, sagte er ziemlich ironisch "Okay, so now it's time to take work serious again"...Nach all dem Spaß, den wir doch zusammen auf der Arbeit hatten und ich anscheinend tatsächlich zu seiner Bezugsperson geworden war (was mich auch etwas stolz macht!), gab er mehr oder weniger zu, dass er sich ohne mich erst einmal allein fühlen würde.

Seine ganze Reaktion auf meine Abreise hat mich sehr mitgenommen, vor allem, weil er wie schon zu Anfang gesagt, eigentlich ein eher distanzierter Mensch ist und nicht wirklich zeigt, was er fühlt oder denkt.

Seine letzten Worte waren "Be happy".

Diese beiden Worte klingen nach einer so einfachen Aufforderung, aber dahinter steckt einfach so viel mehr.

Als ich dann aus dem Auto stieg und ihn wegfahren sah, brach alles irgendwie über mir zusammen und das war der Punkt, an dem ich wusste - du wirst Mandela niemals wiedersehen, du wirst vermutlich keinen der Kids oder Mitarbeiter noch einmal wiedersehen. Und du wirst die Zeit, die du hier verbracht hast, nicht noch einmal zurückbekommen, noch einmal durchleben.

In diesem Moment wusste ich einfach: Das war's.

Ins Flugzeug stieg ich dann mit sehr gemischten Gefühlen, aber ich konnte nicht glauben, dass einen Tag später, nach 298320976026 Stunden in Flugzeugen und an Flughafen wieder zu Hause in Deutschland sein würde.

Kein Gang zur Arbeit mehr, keine Kids mehr um mich herum, keine Wharerangis mehr um mich herum, aber dafür eine ganze Menge anderer Menschen, die ein Jahr lang auf mich gewartet hatten und auf die ich mich ja auch freute.

Aber ich wusste - jetzt beginnt etwas anderes, etwas Neues.

Jetzt ist es an der Zeit, loszulassen und mich darauf einzulassen, wieder zurück nach Deutschland zu gehen.


 
 
 

Comments


© 2023 by NOMAD ON THE ROAD. Proudly created with Wix.com

  • b-facebook
  • Twitter Round
  • Instagram Black Round
bottom of page